Kanzlei
Vor langen Jahren, als es den Begriff des LEGAL CONTROLLING noch nicht gab, ...
... versuchten zwei junge deutsche Konzernjuristen irgendwo in den Subtropen, sich des Tages Last mit einer Flaschen Remy Martin von der Seele zu spülen. Sie waren zur näheren Aufdeckung und Verfolgung eines Betrugsfalls abkommandiert, dessen Ausmaß sie auch an diesem Abend wieder einmal veranlasste, Werkzeuge zu diskutieren, mit denen man den Betrug hätte verhindern oder wenigstens früher hätte entdecken können.
Es waren weniger das Klima und der Remy Martin, die bald die Diskussion unserer beiden Freunde hitziger werden ließ, vielmehr war es schlicht das Aufeinandertreffen von Optimismus und – nennen wir es: – Realismus:
Für den Optimisten war es eine – mit wachsendem Getränkekonsum immer klarer werdende – Selbstverständlichkeit, dass der Rechtsdienst des Konzerns ohne jeden Verzug beginnen werde, neben den traditionellen Aufgaben der vorbeugenden Vertragsgestaltung und der Bearbeitung pathologischer Fälle ein weiteres Dienstleistungspaket der vorsorglichen Vertragsnachsorge anzubieten. Der aktuelle, überaus pathologisch gewordene Fall habe doch klar gezeigt, wie sich trotz einer kunstgerechten Vertragsgestaltung ein Problem entwickle, wenn sich die Vertragspraxis von dem Vertragskonstrukt entferne. Was liege näher, als den Rechtsdienstleister zu veranlassen, sich den von ihm oder anderen Juristen verhandelten Vertragswerken später wieder einmal auch ohne aktuellen Anlass zu widmen und sie an der Vertragswirklichkeit und an den möglicherweise inzwischen veränderten Interessenlagen oder auch Rechtsentwicklungen zu verproben?
Der Realist versuchte, den Höhenflug mit dem nur zu berechtigten Hinweis zu stoppen, dass der Rechtsdienst schon jetzt durch die bisherigen Aufgaben zeitlich überbeansprucht sei, es fehle schlicht die Zeit für eine derartige Vertragsnachsorge. Den Einwand, man müsse halt die Kapazitäten erhöhen, ließ er nicht gelten; die Vergangenheit habe doch klar gezeigt, dass jede Kapazitätserhöhung unmittelbar zu einer mindestens entsprechenden Erhöhung der Nachfrage nach den traditionellen Rechtsdienstleistungen geführt habe – dies werde sich auch in Zukunft nicht ändern.
Die Argumente wurden spitzer, bis sich die letzte Phase der Diskussion im Nebel verlor. So ist auch nicht überliefert, ob der Optimist dem Realisten eine Wette angeboten hat, dass die vorsorgliche Nachsorge rasch zum Standard der Rechtsdienstleistungen zählen werde...
Überliefert indessen ist, dass sich die Wege der Freunde bald trennten. Der Realist widmete sich kaufmännischen Aufgaben, der Optimist übernahm die Leitung des Rechtsdienstes, erhöhte dessen Kapazität, um zu erkennen, dass die dadurch verursachte Nachfrageerhöhung ihn hinderte, sein Modell der vorsorglichen Vertragsnachsorge – abgesehen von wenigen Einzelfällen – in die Praxis umzusetzen.
Ob dies der Grund dafür war, dass sich der – man wagt es kaum, ihn noch so zu nennen – Optimist nach mehr als zehnjährigem vergeblichen Bemühen um jenes Modell als selbständiger Anwalt niederließ, ist wiederum nicht überliefert. Überliefert hingegen ist, dass der Realist sein Nachfolger als Leiter des Rechtsdienstes wurde.
Bald darauf fragte der Optimist den Realisten, ob er sich an jene denkwürdige subtropische Nacht erinnere und ob ihm klargeworden sei, dass er Recht behalten habe. Der Realist versuchte fast erfolgreich, den Ausdruck des Triumphes in seinen Augen zu verbergen. Dies ermutigte den Optimisten vorzuschlagen, das Modell der vorsorglichen Vertragsnachsorge durch Einschaltung eines (gewissen) externen Beraters umzusetzen. Der Realist jedoch antwortete, dieses Modell sei so wichtig, dass er es nur mit internen Kräften verfolgen wolle.
Welche Lehre habe ich aus dieser kleinen Geschichte gezogen? Keine – denn ich bin noch immer Optimist.